"Ich wünschte, ich hätte ein Megafon und könnte schreien!" - Vom Nicht-Gehört Werden einer Betroffenen
Häusliche Gewalt, Geschlechtsbasierte Gewalt, Partnerschafts-gewalt, institutionelle Gewalt, Rassismus
Seit sechs Jahren lebt Jana [2] nun schon in Deutschland und über diese Zeitspanne hat sich die Beziehung, für die sie ihr Heimatland verlassen hat, zum Albtraum und „Gefängnis“ – wie sie es nennt - entwickelt. Ihr Ehemann tut ihr Gewalt an. „Schon am Anfang meiner Schwangerschaft vor fünf Jahren wollte ich ihn verlassen. Dort haben die Probleme begonnen. Körperlich hat er mich zum ersten Mal verletzt, als ich dann im siebten Monat schwanger war. Damals hat meine persönliche Hölle begonnen.“ Neben der körperlichen Gewalt kontrolliert und isoliert er sie. Er spinnt das Narrativ einer „Geretteten“:
„Ich war nie das arme Mädchen, oder das "Opfer", das von einem Europäer gerettet wurde, wie mein Ehemann das gerne darstellt. Es war meine eigene Entscheidung nach Deutschland zu kommen, dass diese Beziehung funktioniert. Ich bin immer für mich selbst eingestanden und habe für mich gekämpft“.
Jana unterstreicht oft, wie wichtig es ihr ist, unabhängig zu sein. Sie steht für eine faire Aufteilung von Haushaltsarbeit ein und wollte, sagt sie, immer einer Lohnarbeit nachgehen. Sie ist gut informiert über finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten und weiß über ihre Rechte Bescheid. Kämpfen muss Jana trotzdem. Dafür, dass sie gehört wird, dass sie die Gelder und Unterstützung bekommt, die ihr zustehen und für einen Zufluchtsort oder Wohnraum für sich und ihr Kind.
Damals als ihr Ehemann Jana das erste Mal körperlich verletzt, habe sie sich gleich Hilfe suchen wollen. Doch auf der örtlichen Polizeiwache habe man sie aufgrund der Sprachbarriere nicht ernst genommen. Jana ist ein eigentlich ein Sprachtalent und es hat ihr immer Spaß gemacht, neue Sprachen zu lernen. Sie spricht fließend Englisch und Deutsch auf B1 Niveau. In der Situation bei der Polizei hat ihr dies jedoch nicht weitergeholfen.
„Vor allem wenn ich nervös bin oder es mir nicht gut geht, spreche ich besser Englisch, da ich das länger spreche als Deutsch. Bei der Polizei konnte sich auf Englisch niemand mit mir verständigen und man hat mich sehr lange warten lassen. Ich war hochschwanger, aufgelöst und mir ging es schlecht. Als dann nach vielen Stunden jemand kam, der sich auf Englisch mit mir unterhalten konnte, hat die Person mir gesagt, dass ich nochmal angerufen werden würde. Danach habe ich nie einen Anruf erhalten.“
Als es zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Vernehmung gekommen sei, sei Jana vor ihrem Ehemann befragt worden, weshalb sie keine Infos habe preisgeben können. Jana fühlt sich mehrmals in Kontakt mit der Polizei nicht gut aufgehoben und beschreibt, dass sie sogar eine Situation habe verlassen müssen, weil sie so belastet gewesen sei. Auch nach unserem Gespräch sucht sie nach einem Streit, nach welchem der Ehemann das Haus verlässt, telefonisch Unterstützung bei der Polizei, da sie eine weitere Gewalteskalation nach seiner Rückkehr fürchtet. Diese Situation ist in der Vergangenheit schon oft so eingetreten. Ihr Kind schläft im Nebenzimmer. Auch hier wendet sie sich telefonisch an die Polizei und auch dieses Mal wird ihr gesagt, man könne ihr nicht weiter helfen und wenn sie Angst hätte, solle sie das Haus verlassen. Doch Jana kann nirgends hin – sie hat kein Unterstützungssystem in ihrer Gegend und ein schlafendes Kind, dass sie um keinen Preis allein zurücklassen kann.
Besonders isoliert ist Jana während der Pandemie. Aufgrund einer chronischen Erkrankung verlässt sie mit ihrem Baby kaum das Haus. Dabei ist Jana eigentlich eine aktive und sehr mobile Person, die mit ihrem E-Bike Erledigungen macht und es schafft, sich trotz Kontrolle durch ihren Mann immer wieder kleine Freiräume zu schaffen. Erst nach der Covid 19-Impfung fühlt sie sich wieder sicherer und kann sich wieder aktiver um Unterstützung bemühen. Da ihr Partner meistens von zuhause arbeitet und kontrolliert, wann und warum sie das Haus verlässt, muss sie sich jedes Mal Ausreden einfallen lassen oder sich auf die Spaziergänge mit ihrem Kind beschränken, während denen sie Hilfslinien und Beratungsstellen versucht zu kontaktieren. Mit einem Neugeborenen ist das für sie sehr herausfordernd und der Hilfesuchprozess fühlt sich für sie irgendwann an, wie ein fortwährender Kreis: Von einer Hotline für Gewaltbetroffene, bei der sie jedes Mal ihre gesamte Geschichte erzählen muss, zu verschiedenen Fachberatungsstellen, die sie an das nächstgelegene Frauenhaus verweisen, das aufgrund ihres Kindes für sie nur in Frage kommt. Doch hier gibt es keinen Platz. Für Jana ist das eine Zwickmühle:
„Wir können nicht zu weit weg, weil ich Angst habe, dass mein Kind dann keine Kinderbetreuung mehr bekommen kann und ich aufhören muss zu arbeiten. Dann kann ich es mir nicht leisten, uns zu versorgen.“
Sie ist frustriert: „Alles, was ich bekomme, sind Telefonnummern. Ich rufe an, muss meine Geschichte erzählen und dann wird mir die nächste Telefonnummer gegeben. Aber am Ende hat mir das bisher nicht genug geholfen. Ich bin in einem fremden Land mit fremden Gesetzen. Ich kenne mich nicht aus mit dem Hilfesystem, mit einem Scheidungsprozess oder Sorge- und Umgangsrecht. Ich brauche konkrete Unterstützung in diesen Dingen, um mich und mein Kind richtig schützen zu können.“ Jana hat versucht, sich gut zu vernetzen und hat mittlerweile einige unterstützende Kontakte mit Expertise in ihrem Umfeld und kommt trotzdem nicht gegen die vielen Hürden an. Sie erzählt von vielen weiteren Vorfällen, zu denen es in den Jahren in verschiedenen Institutionen kam. Von Schikane, davon wie sie von einer Person, die ihr eigentlich helfen sollte, ausgelacht wurde, weil sie das Wort „Rache“ nicht ganz richtig aussprechen konnte, wie sie am Telefon angeschrien wurde als sie etwas nachfragen wollte. Jana fühlt sich oft gedemütigt:
„Es ist, als wäre ich nicht da. Ich werde nicht gehört, ich werde nicht gesehen, ich werde ignoriert. Mittlerweile fühle ich mich meiner Identität und meiner Würde beraubt, weil ich mich oft so fühle, als würde mir niemand richtig zuhören oder mich sehen.“
Doch sie lässt sich nicht entmutigen und recherchiert selbst immer wieder nach Unterstützungsmöglichkeiten. Als sie noch nicht arbeiten kann aufgrund der Kinderbetreuung, möchte sie sich um Wohngeld bemühen, um aufgrund fehlender Frauenhausplätze selbst nach einer Wohnung für sich und ihr Kind zu schauen. Doch im Jobcenter wird sie immer wieder mit verschiedenen Anträgen weggeschickt:
„Die Formulare sind auf Deutsch und selbst für Muttersprachler*innen manchmal schwierig zu verstehen. Englische Formulare habe ich nicht bekommen und ich habe auch nie eine Person getroffen, die sie mir auf Englisch richtig erklären konnte. Ich brauche also eine Person aus meinem privaten Umfeld, die mir die Formulare erklärt oder ich muss mich mit einem Wörterbuch hinsetzen und brauche lange, um die Formulare auszufüllen. Aber bei jedem Folgetermin war da dann ein*e neue*r Sachbearbeiter*in, die*der mir sagte, dass es wieder das falsche Formular gewesen sein soll oder ich es nicht richtig ausgefüllt habe. Es wurde schon sehr deutlich, dass das System nicht für jemanden wie mich gemacht ist. Irgendwann habe ich beim Jobcenter auch aufgegeben und habe die Jahre bis mein Kind in die Kita gekommen ist einfach versucht, zu überleben.“
Jana hält drei Jahre durch und lebt das Leben, das sie, wie sie sagt, nie wollte: „Davor konnte ich immer für mich selbst sorgen und ich wollte immer arbeiten und mein eigenes Geld verdienen. Ich wollte nicht nur die Hausfrau sein. Ich habe meinem Mann von Anfang an gesagt, dass ich unabhängig sein und mein eigenes Geld verdienen möchte. Das ging anfangs mit meinem neugeborenen Kind aber nicht.“
Der Vater ihres Kindes nutzt das aus und gewährt ihr anfangs kein Zugriff auf das Konto. Doch Jana schafft es, trotz der Unterdrückung immer wieder auch kleine Erfolge der Selbstbestimmung zu erreichen und sich zur Wehr zu setzen.
„Ich konnte nicht einfach Essen und Lebensmittel für mich und mein Kind einkaufen gehen und mein Mann hat das auch nicht übernommen. Mein Kind und ich haben oft gehungert. Ich musste mir Geld von meiner Schwiegermutter leihen, um das Notwendigste einzukaufen. Es war absurd. Als ich dann recherchiert habe und herausfand, dass wirtschaftliche Kontrolle auch häusliche Gewalt ist, habe ich meinem Ehemann gedroht, dass ich ihn anzeige, wenn er mir keinen Zugriff auf das Konto gibt. Nach langem Hin und Her hat er dann ein gemeinsames Konto eröffnet. Das war ein kleiner Sieg für mich. Ich wusste anfangs nicht, dass wirtschaftliche Kontrolle auch Gewalt ist. Anfangs fühlte ich mich unwohl, das als Gewalt zu benennen. Aber er hat mich wirtschaftlich kontrolliert und ich weiß genau, wie schlimm das war.“
Mittlerweile kann Jana neben der Care-Arbeit auch wieder entlohnt als Lehrerin arbeiten und hat seither auch ein eigenes Konto: „Ich hatte den Plan, zu arbeiten, etwas Geld zu sparen und dann eine Wohnung für mich und mein Kind zu suchen.“ Doch bisher bleibt der Wohnraum ihr verwehrt aufgrund altbekannter Probleme auf den verschiedenen Wohnungsmärkten: Mangel, eskalierte Mietpreise, ungezähmter Wettbewerb und vor allem auch aufgrund rassistischer und sexistischer Diskriminierung:
„Die Preise für Wohnungen sind absurd. In meiner Region verdienen viele Personen sehr gut und oft haben Familien, ein Vielfaches verglichen zu meinem Einkommen vorzuweisen. Doch ist nicht das einzige Problem: Es ist egal, dass ich mittlerweile genug Geld verdiene, um eine Wohnung zu mieten. Wenn in einer „deutschen“, weißen [3] Familie Vater und Mutter das Vierfache von mir allein verdienen und sich auf die gleiche Wohnung wie ich bewerben, ist es egal, dass ich die Miete ebenfalls bezahlen könnte. Ich habe mich in den letzten Jahren auf jede einzelne Wohnung beworben, die ich online finden konnte und ich konnte fünf davon überhaupt nur besichtigen. Ich habe die absurdesten Entschuldigungen gehört, warum ich am Ende nicht ausgewählt wurde. Ich weiß einfach, dass es auch daran liegt, dass ich eine Frau bin, eine potenziell Alleinerziehende und als eine „Ausländerin“ [4] gesehen werde. Alles, was ich in ihren Augen bin, ist für sie eine Entschuldigung, mir nicht zu helfen, weil sie Vorurteile haben.“
Denn über häusliche Gewalt im Allgemeinen und geschlechtsbasierte Gewalt in der Paarbeziehung im Speziellen bestehen nach wie vor viele Mythen und Vorurteile. Betroffene Personen werden häufig selbst für die Gewalt verantwortlich gemacht oder es wird ihnen eine Mitschuld gegeben. Es wird beispielsweise davon ausgegangen, dass die betroffene Person die gewaltausübende Person zuvor provoziert hat oder dass es sich um beidseitige Gewalt handelt. Aus der Forschung und dem Gewalthilfesystem wissen wir jedoch, dass es sich in sehr vielen Fällen um eine klare Ausübung von Macht handelt in einem gesellschaftlich gestützten Machtungleichgewicht zwischen den Geschlechtern. Oft spielen Erzählungen eine Rolle, die besonders weiblich sozialisierten Betroffenen beispielsweise unterstellen, besonders emotional oder irrational zu reagieren. Janas Fall ist kein Einzelfall. Es existiert ein komplettes Hilfesystem für Fälle wie ihrer, weil klar ist, dass es sich bei Partnerschaftsgewalt um keine normale Situation handelt. Und trotzdem ist es so schwer, dagegen anzukommen. Viele Situationen bräuchten eine enge und zugeschnittene Betreuung. Doch das Hilfesystem hat mit großen strukturellen Problemen zu kämpfen, wie bisher unter anderem eine noch immer nicht bundeseinheitliche Finanzierung.
Doch Jana gibt nicht auf und sucht auch im privaten Umfeld nach Unterstützung.
„Ich habe hier in Deutschland keine engen Bezugspersonen, zu denen ich gehen kann. Meine ganze Familie ist in meinem Heimatland. Dort würde ich einfach meine Sachen packen und zum Beispiel zu meiner Mutter fahren. Die Bekannten, die ich in Deutschland habe, sind entweder alles Verwandte oder Freund*innen meines Mannes, oder sie ignorieren mich, nachdem ich mich ihnen versucht habe anzuvertrauen.“
Da ist der Chef, der sie jedes Mal außen vorlässt, wenn es darum geht jemanden fest anzustellen: „Seit ich ihm meine Situation geschildert habe, ignoriert er mich“, sagt Jana. Da ist die Nachbarin, die eine freie Wohnung zu vermieten hat und trotzdem jemand anderes auswählt.
„Alle wissen es doch, aber niemand will sich darum kümmern. Sobald ich es teile, bin ich unsichtbar für sie. Ich habe Freund*innen verloren, Kolleg*innen haben nicht mehr mit mir gesprochen. Es ist, als würde ich nicht mehr existieren, weil sie das Gefühl haben, ich hätte sie damit belastet. Niemand will sich damit beschäftigen also muss ich alles herunterschlucken“, erzählt Jana.
Viele betroffene Personen machen die Erfahrung, dass Bezugspersonen sich abwenden. Das Umfeld ist oftmals selbst überfordert, weiß nicht genau, was helfen könnte, oder hat die Erwartung, dass die betroffene Person sich sofort trennen muss. In vielen Fällen ist dies jedoch nicht so leicht möglich. Wenn beispielsweise Abhängigkeiten durch gemeinsamen Wohnraum oder Kinder bestehen, kann eine Trennung ein kräftezehrender und langwieriger Akt sein. Betroffene Personen brauchen dann oftmals erstmal Unterstützung durch Hilfe bei der Organisation des Alltags, durch Schutzräume oder Ressourcen, die eine Trennung möglicher machen können. Jana ist eine Person mit großem Freund*innen und Bekanntenkreis in ihrem Heimatland. Sie ist eine sympathische Frau, die gerne etwas über sich erzählt, ihre Emotionen auch mit anderen teilt und sich für andere Betroffene einsetzen will. Und dennoch steht sie mit ihrer Situation weitgehend allein da. Das Fazit, das Jana am Ende unseres Gesprächs über ihre eigene Situation zieht ist so hart wie akkurat:
„Ich spüre, dass Menschen mich verurteilen: Dafür, dass ich eine Frau bin. Dafür, dass ich nicht Deutsch bin. Dafür, dass ich eine „Ausländerin“ [5] bin. […]. Dafür, dass ich ihnen die Sprache nicht gut genug spreche. Dafür, dass ich eine Mutter bin, die eine gewaltvolle Beziehung verlassen will. Ist es Frauen etwa nicht erlaubt, Beziehungen zu verlassen? Dann heißt es: „Eine alleinerziehende Mutter – oh mein Gott, sie hat keinen Mann!“ Das ist ein Tabu. Alles ist ein Tabu hier!“
Janas Geschichte macht deutlich: Gesamtgesellschaftlich bestehen Erwartungen und Vorstellungen darüber weiter, wie Frauen sich im Kontext Beziehung und Familie verhalten sollen. Das gilt besonders auch in Fällen von Partnerschaftsgewalt. Es existieren viele gefährliche und misogyne Mythen: Zum Beispiel, dass Frauen sich aufgrund einer vermeintlich angeborenen Fürsorglichkeit um ihre Familie und ihren Partner kümmern müssten. Dass sie ihre Familie um jeden Preis erhalten und schützen müssten und dass sie die Beziehung „harmonisieren“ und gewaltvolles Fehlverhalten ihrer Partner im Privaten klären sollen. Oder dass sie gewaltvolles Verhalten letztendlich in Kauf nehmen müssen, weil - „boys will be boys“ - Männer seien von Natur aus „eben so“. In der Gesellschaft bestehen noch immer sehr stereotypisierte Erzählungen über die Geschlechter. Männer seien von Natur aus aggressiver, aber auch willensstärker und rationaler, Frauen dagegen emotional, “hysterisch”, fürsorglich und unterwürfig. Das wird dann beispielsweise mit biologischen Faktoren wie Genen oder Hormonhaushalten begründet. Die gesellschaftliche Ebene bei Verhalten und sozialen Rollen wird dann meist ausgeblendet. Geschlechtsbasierte Gewalt wird durch solche Erzählungen entpolitisiert und gesellschaftliche Machtverhältnisse ignoriert. [6] Was man an Janas Geschichte auch sieht und was leider alles andere als ein Einzelfall ist: Betroffene Personen von geschlechtsbasierter Partnerschaftsgewalt werden – ob offen oder subtil - mitverantwortlich gemacht für die Gewalt. Dieser Mechanismus wird als „Täter-Opfer-Umkehr“ bezeichnet. Anstatt dass Fragen gestellt werden wie: „Was brauchst du?“, wird dann gefragt: „Hat sie ihn vielleicht provoziert?“ und „Warum geht sie nicht?“. Für die Gewalt kann nur die gewaltausübende Person verantwortlich gemacht werden. Es kann außerdem viele Gründe haben, als betroffene Person nicht gehen zu können. Janas Geschichte von ungleicher Aufteilung von sogenannter Care-Arbeit und lange keinem Zugriff auf das gemeinsame Einkommen zu haben, von einem eskalierten Wohnungsmarkt, einem Hilfesystem, das an seine Grenzen kommt und Institutionen, die sich nicht als verantwortlich sehen, zeigt das ganz klar. Und die Geschichte zeigt, wie Personen an den Institutionen scheitern können, obwohl sie nicht lockerlassen, obwohl sie für sich und ihre Kinder kämpfen und obwohl sie sich aktiv Unterstützung suchen.
Einige Wochen nach unserem Gespräch schreibt Jana folgende Worte:
„Als ausländische [7] Frau, die seit Jahren in einer von körperlicher und psychischer Gewalt geprägten Beziehung leben muss, habe ich nichts, was mich beschützt, niemanden, der mich hört oder sich für meine Grundrechte einsetzt. Jede Person hat doch das Recht in Würde zu leben.“
Sich neben der gewaltvollen Beziehung immer und immer wieder gegen gesellschaftliche Erwartungen zu stellen und zu versuchen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, benötigt viel Mut, Ausdauer und Kraft und oft wird es durch strukturelle und institutionelle Gewalt schier verunmöglicht. Das alles spiegelt Janas Geschichte wider und ist dabei kein Einzelfall.
[1] Zu Beginn möchten wir als Interviewerinnen unsere gesellschaftlichen Positionierungen transparent machen und damit auch mögliche Biases, die auf unseren subjektiven und limitierten Erfahrungen beruhen. Keine von uns hat persönlich Diskriminierung aufgrund von Rassismus erlebt, da wir beide gesellschaftlich als weiß positioniert sind und dadurch privilegiert. Auch aufgrund unseres Aufenthaltsstatus oder unserer Muttersprache wurden wir nie benachteiligt. Wir erkennen an, dass unsere Perspektiven durch unsere eigenen Erfahrungen und Privilegien geprägt sind und sind uns bewusst, dass die Erfahrungen von Menschen, die von Rassismus und anderen Diskriminierungsformen betroffen sind, sich stark von unseren eigenen unterscheiden können. Wir selbst waren bisher nie von häuslicher Gewalt betroffen, sind aber – wie alle Frauen und queeren Menschen in Deutschland – von geschlechtsbasierter Gewalt betroffen. Wir verstehen Gewalt gegen Frauen und queere Menschen als ein Kontinuum, das bei alltäglichen sexistischen und misogynen Diskriminierungen und Narrativen beginnt und bis hin zu sexualisierter, körperlicher Gewalt und Femi(ni)zid reicht.
[2] Zum Schutz der betroffenen Person haben wir identifizierbare Angaben wie Namen, Daten und Zeiträume verändert und anonymisiert. Diese Anpassungen wurden sorgfältig vorgenommen, um die Integrität und Aussagekraft der Erzählung zu wahren.
[3] In diesem Text bezieht sich „weiß“ nicht etwa auf eine Hautfarbe, sondern auf gesellschaftliche Positionen innerhalb historisch gewachsener und strukturell verankerter ungleicher Machtverhältnisse. „Weiß“ markieren wir kursiv, um die soziale Konstruktion und Unsichtbarkeit weißer Dominanz zu kennzeichnen.
[4] Die Begriffe „Ausländerin“ oder „ausländisch“ sind nicht neutral, sondern spiegeln eine nationale Perspektive wider, in der das „Eigene“ (z. B. „Deutsch“) als Norm gesetzt und das „Andere“ als „fremd“ markiert wird. Diese Dichotomie kann zur sozialen Konstruktion des „Anderen“ beitragen und Exklusionsmechanismen verstärken. Kritisch betrachtet sind die Begriffe also nicht nur beschreibend, sondern potenziell stigmatisierend, da sie Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit entlang nationalstaatlicher Linien festschreiben – oft unabhängig von tatsächlicher Lebensrealität oder Selbstidentifikation der Betroffenen. Im Original benutzt Jana die englischen Wörter „foreigner“ oder „foreign“, welches sich aus unserer Sicht am besten mit den deutschen Pendants „Ausländerin“ oder „ausländisch“ übersetzen lässt. Um die Problematik der Begriffe allerdings zu kennzeichnen, schreiben wir ihn kursiv und in Anführungszeichen.
[5] Siehe Fußnote 4.
[6] Zugrunde liegen diesen Mythen wirkmächtige biologistische Narrative sowie binäre Geschlechtsstereotype und cis-heteronormative Rollenbilder. Geschlecht ist fluide und es gibt mehr als die zwei Geschlechtskategorien „cis Mann“ und „cis Frau“. Cis bedeutet hier, dass Personen sich mit der bei der Geburt aufgrund äußerlicher Merkmale zugeschriebenen Kategorie identifizieren. Biologistisch bedeutet in diesem Kontext, dass Gewalt beispielsweise mit unterschiedlichen Hormonhaushalten, oder anderen binär konstruierten Argumenten begründet wird. Somit wird die eigentliche Problematik von geschlechtsbasierter Gewalt nicht nur entpolitisiert und gesellschaftliche Machtverhältnisse ignoriert, sondern eben auch ein gefährlicher Biologismus reproduziert. Also die ideologische Auffassung, dass menschliches Verhalten, soziale Rollen oder gesellschaftliche Unterschiede primär oder ausschließlich durch biologische Faktoren wie Gene, Hormone oder Geschlecht erklärbar seien.
[7] Siehe Fußnote 4.