"Solidarität macht viel Freude!" - Veranstaltungsbericht "Female Futures - Gewalt in Beziehungen"
Knapp zwei Stunden tauschten Christina Clemm, Fachanwältin für Straf- und Familienrecht sowie Autorin des Buches „Gegen Frauenhass“, Dr. Julia Habermann, Sozialwissenschaftlerin sowie Autorin der unter anderem mit dem Deutschen Studienpreis ausgezeichneten Dissertation „Partnerinnentötungen und deren gerichtliche Sanktionierung“ und Stefanie Knaab von GfZ sich mit Moderatorin Teresa Bücker zu Partnerschaftsgewalt aus.
„Geschlechtsspezifische Gewalt durchdringt die Alltäglichkeit“, stellte Teresa Bücker zu Anfang fest und nahm Bezug auf die im November 2024 erstmals veröffentlichten alarmierenden Zahlen des BKA im Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“, das vom Bundesministerium für Inneres und Heimat sowie vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegeben wurde. Die Frage wurde diskutiert, an was man die Ergebnisse der Studien festmachen könne: Einer erhöhten Anzeigenbereitschaft der Betroffenen oder an einem tatsächlichen Anstieg von Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt. Christina Clemm hob hervor, dass dies bisher schwierig zu beurteilen sei, da es sich erstens um die erste so explizite statistische Erhebung geschlechtsspezifischer Gewalt handle – einer Erhebung, zu der die Istanbul Konvention Deutschland auch verpflichte – und es zweitens zur Beantwortung der Frage Dunkelfelderhebungen bräuchte. Denn bei den angezeigten Taten würde es ich ausschließlich um das „Hellfeld“, also zur Anzeige gebrachte Straftaten, und somit einen Bruchteil handeln. Stefanie Knaab hob hervor, dass neben der letzten großen Dunkelfeldstudie von 2004, kleinere Studien aus Sachsen und Niedersachsen (2022) ergeben hätten, dass nur jede 215. Tat im Kontext Häuslicher Gewalt überhaupt angezeigt werden würde, sodass vermutet wird, dass nicht nur die Zahlen des Hellfelds, sondern auch die des Dunkelfelds steigen. Unter anderem geben Betroffene in der Dunkelfeldstudie an, dass sie die Gewalt nicht anzeigen, weil sie Angst davor haben, dass ihnen nicht geglaubt wird, sie die Gewalt als ‚nicht schlimm genug‘ einordnen und dass sie eine Mitschuld an der Gewalt tragen würden.
Auf die Frage Teresa Bückers, wo Gewalt anfange, antwortete Stefanie Knaab: „Ab dem Moment, wo das Bauchgefühl unangenehm oder komisch wird, muss man genauer hinschauen. Dafür müssen wir gesamtgesellschaftlich sensibilisieren“. Körperliche Gewalt bis hin zum Femizid seien nur die Spitze des Eisbergs. Anderen Gewaltformen wie digitale, sexualisierte, wirtschaftliche, soziale und vor allem auch psychische Gewalt seien schwieriger erkennbar und würden oftmals nicht als Gewalt anerkannt. Julia Habermann hob hier hervor, dass kontrollierendes Verhalten und Herabwürdigung gerade im Kontext von Femiziden durchaus relevant seien. Im Vorfeld eines Femizids seien diese Verhaltensweisen zentral. Das Tötungsdelikt kann die erste Form der körperlichen Gewalt in der Beziehung sein und diese ereignen sich insbesondere im Kontext von Trennungen – sie stellen Hochrisikosituationen für die Entstehung eines Tötungsdelikts dar.
„Ich höre viel zu oft die Frage: Wieso trennt sich die Frau nicht?“, warf Stefanie Knaab hier ein. Dies suggeriere, die Betroffenen hätten Schuld an der Situation. Dabei gäbe es neben der berechtigten (Todes-)Angst vor den Folgen einer Trennung, unzählige weitere Gründe, wie beispielsweise ein eskalierender Wohnungsmarkt, der es Betroffenen teilweise unmöglich mache, sich zu trennen, ohne der berechtigten Angst vor der Obdachlosigkeit. Denn auch die Kosten für Schutzunterkünfte müssten Betroffene in manchen Regionen unter bestimmten Voraussetzungen in Deutschland selbst übernehmen. Christina Clemm erzählte außerdem, wie beschämend für Betroffene sowohl strafrechtliche als auch familienrechtliche Gerichtsverfahren teilweise ablaufen. „Es braucht mehr Öffentlichkeit für Verhandlungen!“, forderte sie.
In diesem Kontext wurde auch das geplante Gewalthilfegesetz der Ampel-Regierung diskutiert, für dessen gesetzliche Verankerung in der laufenden Legislaturperiode die Zeit nun denkbar knapp sei. Als Rechtsanspruch beispielsweise auf einen Schutz- oder Beratungsplatz, könne es vielen Betroffenen ihre Situation erleichtern. Die Kommunen seien verpflichtet Schutzplätze zu stellen. Somit würde Deutschland endlich auch seiner Verpflichtung durch die Istanbul Konvention nachkommen, das Mindestmaß von 21 000 Schutzplätzen zu stellen. Momentan gibt es in Deutschland fast 15 000 Frauenhausplätze zu wenig. Stefanie Knaab prangerte an, dass die Regierung das Gewalthilfegesetz nicht priorisiert habe und unterstrich, dass dies alles in allem sicher ein teures Unterfangen wäre, in Anbetracht der alarmierenden Zahlen sei es aber eine „absolute Katastrophe“, dass dieses Geld nicht in die Hand genommen wird.
Julia Habermann warf hier ein, dass es auch Präventionsstrategien bräuchte und Bücker stellte die Frage, wie solche im besten Fall aussehen könnten. Stefanie Knaab nannte als beispielhafte Maßnahmen geschlechtersensible Bildung auch schon im Kindesalter, eine kritische Auseinandersetzung mit misogynen, sexistischen und Gewalt-romantisierenden Narrativen und Bildern in Literatur und Film, eine ehrliche Armutsbekämpfungsstrategie sowie die Einführung von verpflichtenden Täterarbeitsprogrammen wie es sie zum Beispiel in Österreich gibt. „Alle Ministerien müssen sich hinsetzen!“, forderte sie. Das Thema sei ressortübergreifend anzupacken, da es die gesamte Gesellschaft durchdringt. Christina Clemm fügte hier hinzu, dass man geschlechtsspezifische Gewalt unbedingt als das verstehen müsse, was sie ist: Ein stabilisierendes Konstrukt im Patriarchat. Die patriarchale Gesellschaft könne sich immer wieder verfestigen durch Gewalt oder auch durch die bloße Angst davor. Schon diese Angst würde das Verhalten und das gesamte Bewegen von potenziell Betroffenen im öffentlichen wie privaten Raum grundlegend beeinflussen. „Der tiefsitzende Frauenhass wird früh anerzogen“, mahnte sie an, „Bei der Bekämpfung geschlechtsbezogener Gewalt geht es um viel mehr, als die Verhinderung der direkten Gewalt. Es geht um Gleichstellung, um die Frage, wie wir als Gesellschaft miteinander leben wollen. “
Teresa Bücker schloss mit der Frage, woher man die Kraft nehmen könne, weiter gegen geschlechtsspezifische Gewalt zu kämpfen. Julia Habermann warf ein, dass es einen langen Atem und Durchhaltevermögen bräuchte. Christina Clemm schloss mit einem Aufruf zu einem solidarischen Miteinander: „Solidarität macht viel Freude!“