Perspektivisch soll bis 2026 eine flächendeckende Einführung der App in fünf Bundesländern erfolgen. Unsere erklärten Ziele sind Aufklärung rund um das Thema geschlechtsspezifische Gewalt zu leisten, für Betroffene einen Zugang zum Hilfesystem herzustellen, sowie die gerichtsunterstützende Dokumentation der Gewalterfahrungen zu ermöglichen. Ein niedrigschwelliger Zugang zum Hilfesystem für Betroffene mittels moderner Kommunikationstechnik ist unabdingbarer Bestandteil zeitgemäßer Präventions- und Interventionsarbeit.
Die App soll Betroffenen von geschlechtsspezifischer Gewalt in Paarbeziehungen ermöglichen, die eigene Situation einzuschätzen, indem sie über unterschiedliche Gewaltformen aufklärt. Bestenfalls trägt die App dazu bei, Beweise gegen den Täter zu sammeln, die vor Gericht hilfreich sein können. Mehr als 80% aller gerichtlichen Verfahren bei häuslicher Gewalt werden derzeit noch immer wegen Mangel an Beweisen eingestellt. Das wollen wir nicht akzeptieren!
Im Jahr 2023 mindestens 132.966 Frauen [1] von geschlechtsspezifischer Gewalt in der Paarbeziehung betroffen und die Zahlen steigen stetig [2]. Eine Dunkelfeldstudie aus Niedersachsen von 2022 zeigt, dass nur jede aktuellen 215. Tat im Kontext häuslicher Gewalt zur Anzeige gebracht wird [3]. Jede dritte Frau in Europa ist im Laufe ihres Lebens von sexualisierter und körperlicher Gewalt durch den (Ex-)Partner betroffen [4]. Von Mehrfachdiskriminierung betroffene Gruppen sind besonders vulnerabel und einem erhöhten Risiko von Gewalt ausgesetzt [5,6].
Bund und Länder müssen die Umsetzung der Istanbul-Konvention entschieden vorantreiben. Die Zahl der Betroffenen von geschlechtsspezifischer Partnerschaftsgewalt steigt stetig: Allein von 2022 auf 2023 stiegen die Fallzahlen im Hellfeld um 6,4 Prozent. Das ist alarmierend und erfordert dringend politische Maßnahmen. 79,2 Prozent der Betroffenen von Partnerschaftsgewalt waren Frauen [7,8]. Das im Koalitionsvertrag angekündigte Gewalthilfegesetz, wonach jede von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt betroffene Frau mit ihren Kindern einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung erhalten soll, muss schnellstmöglich kommen. Denn mit den wachsenden Zahlen steigt auch der Bedarf an Unterstützung.
Betroffene von häuslicher Gewalt brauchen Schutz und Unterstützung. Dafür braucht es ein Hilfesystem, das über genügend Ressourcen verfügt, um Hilfe für alle anbieten zu können. Und eine Gesellschaft, in der Betroffene nicht stigmatisiert und in der ihre Bedürfnisse ernst genommen werden. Ein gesamtgesellschaftliches Problem lässt sich nur gemeinsam mit allen lösen. Wir müssen gemeinsam Schnittstellen suchen, interdisziplinär denken, gemeinsam über Mythen aufklären, die diese Gewaltform betreffen und die Wurzel des Problems angehen - patriarchale Strukturen in unserer Gesellschaft.
Betroffene brauchen nach dem Erleben von geschlechtsspezifischer Gewalt in der Paarbeziehung echten Schutz. Deshalb fordern wir von der Politik: eine offene Debatte, Gesetze, die Betroffenen helfen und sie auf ihrem Weg unterstützen, mehr Mittel für das gesamte Hilfesystem und präventive Konzepte.
[1] Anm.: In vielen Statistiken werden oftmals noch immer nur die binären Geschlechtskategorien „cis Mann“ und „cis Frau“ berücksichtigt, das heißt Personen, denen die Kategorie „Frau“ oder „Mann” bei der Geburt zugeschrieben wurden. Auch in den genannten Erhebungen wurden weitere Geschlechter nicht explizit genannt. Die App richtet sich an alle FLINTA*-Personen, die von geschlechtsspezifischer Gewalt in der Paarbeziehung betroffen sind.
[2] BKA (2023): Polizeiliche Kriminalkstatistik
[7] BKA (2022): Partnerschaftsgewalt - Kriminalstatistische Auswertung